„Erich Weniger“ – Versionsunterschied – Wikipedia


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'''Erich Weniger''' (* [[11. September]] [[1894]] in [[Steinhorst (Niedersachsen)|Steinhorst]] bei [[Gifhorn]]; † [[2. Mai]] [[1961]] in [[Göttingen]]) war ein maßgeblicher Vertreter der [[Geisteswissenschaftliche Pädagogik|Geisteswissenschaftlichen Pädagogik]]. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Geschichtsdidaktiker.<ref>Vgl. Klaus Bergmann: ''Historisches Lernen in der Grundschule.'' In: Siegfried George, Ingrid Prote (Hrsg.): ''Handbuch zur politischen Bildung in der Grundschule.'' Hrsg.Wochenschau von Siegfried George und Ingrid Prote.Verlag, Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 1996, S. 319–342. Wieder in: Klaus Bergmann: ''Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens.'' Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag ³2008 (Forum Historisches Lernen), S. 116–130, hier S. 117.</ref>

== Leben und Werk ==

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=== Werdegang ===

Der Pastorensohn legte er 1913 das Abitur am [[Kaiser-Wilhelm- und Ratsgymnasium Hannover|Kaiser-Wilhelm-Gymnasium]] Hannover ab und studierte ab 1913 an der [[Eberhard Karls Universität Tübingen|Universität Tübingen]] die Fächer Geschichte, Deutsch und Latein. Er wurde Mitglied der Studentenverbindung Nikaria und nahm am [[Erster Freideutscher Jugendtag|Freideutscher Jugendtag]] auf dem [[Hoher Meißner|Hohen Meißner]] teil.<ref>Werner Kindt und, Theodor Wilhelm (Hrsg.): ''Grundschriften der deutschen Jugendbewegung.'' Diederichs, Düsseldorf 1963, S. 580.</ref> Weniger nahm von 1914 bis 1918 am [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] teil, wo er Mitglied der [[Deutsche Akademische Freischar|Akademischen Freischar]] war.

Nach Kriegsende setzte Weniger sein Studium an der [[Georg-August-Universität Göttingen|Universität Göttingen]] fort. Im April 1919 wurde er für sechs Monate Mitglied eines [[Freikorps]], möglicherweise des [[Sturmabteilung Roßbach|Freikorps Roßbach]].<ref>Günter Blümel und, Wolfgang Natonek: ''„Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“.'' ''Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen.'' Univ.-Verl.Verlag Göttingen, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86395-125-2, S. 123.</ref> 1921 schloss er sein Studium mit einer Promotion über ''[[August Wilhelm Rehberg|Rehberg]] und [[Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein|Stein]]'' bei [[Karl Brandi]] und dem Staatsexamen ab. Ein weiteres Studium der Pädagogik hatte er bereits 1920 begonnen. Nach Referendariat und Assessorexamen war er von Anfang 1923 bis Ende März 1927 Assistent von [[Herman Nohl]] am Pädagogischen Seminar.<ref name="W22">Wolfgang Klafki und, Johanna-Luise Brockmann: ''Geisteswissenschaftliche Pädagogik und Nationalsozialismus.'' ''Herman Nohl und seine „Göttinger Schule“ 1932–1937.'' Eine individual- und gruppenbiografische, mentalitäts- und theoriegeschichtliche Untersuchung.'' Beltz, Weinheim 2002, ISBN 3-407-25250-1, S. 22.</ref> Nohl und Weniger gründeten 1921 die Jugend-[[Volkshochschule]] Göttingen, deren Leitung Weniger bis 1924 innehatte.<ref>Günter Blümel und, Wolfgang Natonek: ''„Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“.'' ''Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen.'' Univ.-Verl.Verlag Göttingen, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86395-125-2, S. 148–151.</ref>

Weniger habilitierte sich 1926 in Göttingen für Pädagogik über ''Die Grundlagen des [[Geschichtsunterricht]]s'' und wurde als Professor für Pädagogik an einer [[Pädagogische Hochschule|Pädagogischen Akademie]] ernannt. Er lehrte zunächst an der PA Kiel und habilitierte sich zugleich an der Philosophischen Fakultät der [[Christian-Albrechts-Universität zu Kiel|Universität Kiel]] um, wo er eine Honorarprofessur wahrnahm. 1930 übernahm er die Direktion der neuen PA [[Bezirk Altona|Altona]]. Der preußische Kultusminister [[Adolf Grimme]] förderte ihn. Nach deren Schließung 1932 wechselte er als Direktor zur PA Frankfurt am Main.<ref name="W22" />

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1931 wurde er Vorsitzender der neu gegründeten deutschen Sektion der [[New Education Fellowship]], die bis heute die [[Reformpädagogik]] begleitet.

Nach der nationalsozialistischen „[[Machtergreifung|Machtübernahme]]“ wurde Weniger im Mai 1933 zunächst beurlaubt und im September 1933 aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Er legte Revision ein und erhielt 1934 eine Stelle als Studienrat zugewiesen.<ref name="W22" /> Obgleich er nie in die [[NSDAP]] oder eine andere NS-Organisation eintreten sollte, gehörte Weniger zu denjenigen Schülern Nohls, die sich dem [[Nationalsozialismus]] öffneten. Er verteidigte 1933 die „eigentlichen“ Intentionen der Bewegung und vertrat die Auffassung, eigene Ideen seien nicht außerhalb des NS-Systems durchzusetzen.<ref>Wolfgang Klafki und, Johanna-Luise Brockmann: ''Geisteswissenschaftliche Pädagogik und Nationalsozialismus.'' ''Herman Nohl und seine „Göttinger Schule“ 1932–1937.'' Eine individual- und gruppenbiografische, mentalitäts- und theoriegeschichtliche Untersuchung.'' Beltz, Weinheim 2002, ISBN 3-407-25250-1, S. 138&nbsp;f.</ref> Weniger beantragte die Aufnahme in den [[Reichsverband deutscher Schriftsteller]] und knüpfte Kontakte zu Militärkreisen. Als Ende 1935 eine Planstelle für Weniger am Frankfurter [[Lessing-Gymnasium (Frankfurt am Main)|Lessing-Gymnasium]] frei wurde, ließ er sich für freie wissenschaftliche Tätigkeiten beurlauben. Er schrieb [[Militärpädagogik|militärpädagogische]] Publikationen zur nationalsozialistischen Wehrerziehung und trat für die [[Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften]] auf.<ref name="W1" /> Dabei erfuhr sein 1938 publiziertes militärpädagogisches Hauptwerk ''Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung'' wegen seiner komplexen Darstellung weniger Resonanz als seine spätere vielfältige und sehr erfolgreichen Vortragstätigkeit, bei der Weniger die Erlaubnis erhalten hatte, jederzeit die Truppe zu besuchen.<ref>Uwe Hartmann: ''Erich Weniger.'', inIn: Detlef Bald u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Klassiker der Pädagogik im deutschen Militär''. Nomos, Baden-Baden 1999, S. 188–209, hier S. 195.</ref> Im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wurde er eingezogen und war bei verschiedenen Wehrmachtsstäben als Betreuungsoffizier bzw. [[NS-Führungsoffizier]] tätig, darunter von Oktober 1942 bis Oktober 1943 beim Stab General [[Carl-Heinrich von Stülpnagel]]s.<ref name="W1">Wolfgang Keim: ''Bildung versus Ertüchtigung.'' ''Gab es einen Paradigmenwandel im Erziehungsdenken unter der Nazi-Diktatur?'' In: Hartmut Lehmann und, Otto Gerhard Oexle (Hrsg.): ''Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften.'' Vandenhoeck(= & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 978-3-525-35862-7 (''Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte''. 211). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-35862-8, S. 242&nbsp;f.; Wolfgang Klafki und, Johanna-Luise Brockmann: ''Geisteswissenschaftliche Pädagogik und Nationalsozialismus.'' ''Herman Nohl und seine „Göttinger Schule“ 1932–1937.'' Eine individual- und gruppenbiografische, mentalitäts- und theoriegeschichtliche Untersuchung.'' Beltz, Weinheim 2002, ISBN 3-407-25250-1, S. 265–272.</ref>

Wie Herman Nohl und [[Eduard Spranger]] vermied er zeittypisch eine scharfe Abrechnung mit dem Nationalsozialismus und wandte sich gegen die alliierte [[Entnazifizierung]].<ref>Erich Weniger: ''Die Epoche der Umerziehung 1945–1949. Hermann Nohl zum 80. Geburtstag.''. In: ''Westermanns Pädagogische Beiträge.''. Teil I. 11. Jg. H. 10. Oktober 1959, S. 403–410. Teil II. 11. Jg. H. 12. Dezember 1959, S. 517–525. Teile III und IV. 12. Jg. H. 1. Januar 1960, S. 9–13. Teil V. 12. Jg. H. 2. Februar 1960, S. 74–79.</ref> In seinem eigenen mehrjährigen Entnazifizierungsverfahren musste Weniger sich für seine Tätigkeiten als Militärpädagoge und Nationalsozialistischer Führungsoffizier (NSFO) rechtfertigen, ehe die erste Einstufung der Spruchkammer Göttingen-Stadt als „entlastet“ nach Einspruch der britischen Militärregierung in einem zweiten Verfahren im September 1948 bestätigt wurde. Weniger hatte glaubhaft machen können, dass in sein letztes militärpädagogisches Buch ''Die Erziehung des Soldaten'' ideologisch belastende Aussagen nicht von ihm, sondern per Zensur eingefügt worden seien und seine Funktion als NSFO eine Schutzmaßnahme General von Stülpnagels gewesen sei, nachdem er durch regimekritische Aussagen aufgefallen sei.<ref>Uwe Hartmann: ''Erich Weniger.'', In: Detlef Bald u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Klassiker der Pädagogik im deutschen Militär''. Nomos, Baden-Baden 1999, S. 188–209, hier S. 195; Kurt Beutler: ''Geisteswissenschaftliche Pädagogik zwischen Politisierung und Militarisierung - Erich Weniger''. Lang, Frankfurt am Main 1995, S. 142–154.</ref> Sein Biograph [[Kurt Beutler (Pädagoge)|Kurt Beutler]] sieht diese Einstufung Wenigers als „unbelastet“ durch eine Reihe sogenannter [[Persilschein]]e Dritter, denen die Spruchkammer unkritisch gefolgt sei, bewirkt.<ref>Kurt Beutler: ''Geisteswissenschaftliche Pädagogik zwischen Politisierung und Militarisierung - Erich Weniger''. Lang, Frankfurt am Main 1995, S. 145ff.</ref> 1945 initiierte Weniger die Gründung der Pädagogischen Hochschule Göttingen; 1949 folgte er Nohl als ordentlicher Professor für Pädagogik an der [[Universität Göttingen]].

Weniger trat als einer der ersten in der Bundesrepublik 1949 für eine Neuorientierung der [[Geschichtsdidaktik]] am Prinzip der Politischen Bildung ein. Als Mitglied des Personalgutachterausschusses der [[Bundeswehr]] sowie ihres Beirats für Fragen der Inneren Führung wirkte er am Aufbau der Bundeswehr mit.

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* ''Die Grundlagen des Geschichtsunterrichts. Untersuchungen zur geisteswissenschaftlichen Didaktik'', Teubner, Leipzig 1926.

* ''Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung''. Berlin 1938.

* ''Goethe und die Generale der Freiheitskriege''. Insel-Verlag, Leipzig 1942 (neue Aufl. Metzler, Stuttgart 1959).

* ''Die Eigenständigkeit der Erziehung in Theorie und Praxis. Probleme der akademischen Lehrerbildung''. Beltz, Weinheim 1952.

* ''Neue Wege im Geschichtsunterricht''. Frankfurt am M.Main 1949 (4. Auflage 1969).

* ''Didaktik als Bildungslehre''. Zwei Bände. Beltz, Weinheim 1951/1960 (9. Aufl. 1965).

* ''Zur Frage der staatsbürgerlichen Erziehung''. Oldenburg 1951.

* ''Ausgewählte Schriften zur geisteswissenschaftlichen Pädagogik''. Hrsg. von Bruno Schonig. 2. Aufl. Beltz, Weinheim 1990, ISBN 3-407-29006-3.

* ''Politik, Gesellschaft, Erziehung in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik''. Hrsg. u. kommentiert von Helmut Gaßen. Zwei Bände. Beltz, Weinheim 1990.

== Literatur ==

* [[Kurt Beutler (Pädagoge)|Kurt Beutler]]: ''Geisteswissenschaftliche Pädagogik zwischen Politisierung und Militarisierung – Erich Weniger'', Lang, Frankfurt am Main 1995.

* [[Uwe Hartmann (Offizier)|Uwe Hartmann]]: ''Erich Weniger.'', inIn: [[Detlef Bald]], Uwe Hartmann u., [[Claus von Rosen]] (Hrsg.): ''Klassiker der Pädagogik im deutschen Militär''. Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-6039-9, S. 188–209.

* {{Literatur

* {{Literatur |Autor=Alexander Hesse |Titel=Die Professoren und Dozenten der preußischen pädagogischen Akademien (1926–1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933–1941) |Verlag=Deutscher Studien-Verlag |Ort=Weinheim |Datum=1995 |ISBN=3-89271-588-2 |Online={{Google Buch |BuchID=fpQrAQAAIAAJ |Hervorhebung=Eich Weniger}}}}

|Autor=Alexander Hesse

* Julia Kurig, Esther Berner: Democratisation Through Military Education? ''Erich Weniger’s'' Contribution to the Development of West German Armed Forces in the 1950s. In: War and Education. The Pedagogical Preparation for Collective Mass Violence. Edited by Sebastian Engelmann, Bernhard Hemetsberger und Frank Jacob. Paderborn: Brill Schoeningh, 2022, S. 199–236.

* {{Literatur |Autor=Alexander Hesse |Titel=Die Professoren und Dozenten der preußischen pädagogischen Akademien (1926–1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933–1941) |Verlag=Deutscher Studien-Verlag |Ort=Weinheim |Datum=1995 |ISBN=3-89271-588-2 |Online={{Google Buch |BuchID=fpQrAQAAIAAJ |Hervorhebung=Eich Weniger}}}}

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* Julia Kurig, Esther Berner: Democratisation Through Military Education? ''Erich Weniger’s'' Contribution to the Development of West German Armed Forces in the 1950s. In: Sebastian Engelmann, Bernhard Hemetsberger, Frank Jacob (Hrsg.): ''War and Education. The Pedagogical Preparation for Collective Mass Violence.'' EditedBrill by Sebastian EngelmannSchoeningh, Bernhard Hemetsberger und Frank Jacob. Paderborn: Brill Schoeningh, 2022, S. 199–236.

* {{NDB|27|783|784|Weniger, Erich|[[Eva Matthes]]|118631276}}

* [[Benjamin Ortmeyer]]: ''Erich Weniger und die NS-Zeit. Forschungsbericht''. Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt/M. am Main 2008, ISBN 978-3-9810879-5-X6.

* [[Benjamin Ortmeyer]]: ''Erich Wenigers Schriften und Artikel aus der NS-Zeit. Dokumente 1933 - 19451933–1945''. Univ. Frankfurt, Fachbereich Erziehungswiss., Frankfurt/M. am Main 2008.

* Barbara Siemsen: ''Der andere Weniger. Eine Untersuchung zu Erich Wenigers kaum beachteten Schriften'' (= ''Studien zur Bildungsreform,.'' Bd. 25). Lang, Frankfurt/M. am Main 1995, ISBN 3-63148471631-648471-2.

== Weblinks ==