Lustprinzip


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Das Lustprinzip ist eine Theorie, die Sigmund Freud vor allem auf dem Wege der Traumanalyse gewann und formulierte, für die er aber auch seine Kenntnisse als Mediziner und Befürworter der Evolutionstheorie Darwin hinzuzog. Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum bezieht Freud das Lustprinzip, das aus der Libido oder Triebenergie wirke, in seinen jüngeren Werken nicht mehr nur auf das Streben nach „sexueller“ Lust, sondern kommt zu dem Ergebnis, dass es für jede Art von Bedürfnissen oder Mängeln, die das Lebewesen um sich und seine Art zu erhalten ausgleichen muss, maßgeblich ist. Das Lustprinzip wirkt demnach auch in dem Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme, welches unmittelbar nur der Lebenserhaltung des sich lustvoll ernährenden Organismus dient. Sexuelle Lustbefriedigung hingegen steht im Dienste der Vermehrung, Geistige Lust in dem der Erkenntnis, zu der auch die "Kunst" (alles vereinigend) zählt. 'Geistige' Vernunft ohne 'körperlichen' Verstand ist gegenstandslos, er ohne sie blind. (Vgl. Kants Unterscheidung in rationale "Vernunftskritik" und intuitiv urteilendes "Gemüht".)

Entwicklung der Lustprinzip-Theorie

Die in den früheren Werken vertretene Hypothese eines nur in der Sexualität wirkenden Lustprinzips war bedingt von den häufigen Assoziationen der an sog. Hysterie leidenden, ersten Patientinnen Freuds, die zu den Genitalien und ihren Lustempfindungen verwiesen. Diese wurden vor 100 Jahren ausschließlich der Sexualität zugerechnet. Aus Beobachtungen von Kleinkindern schloss Freud dann zwar auf ein von Geburt an bestehendes Luststreben, dies war jedoch so vielgestaltig und unspezifisch, dass er es nicht als Vorläufer ausschließlicher sexueller Lust zu bezeichnen vermochte. Stattdessen ersann er zur Benennung des kindlichen Lustverhaltens den Begriff der „polimorphen Perversionen“ – ein Kunstgriff, der ihm erforderlich schien um von seinen zeitgenössischen Fachkollegen überhaupt annäherend verstanden zu werden, da diese den Kindern körperliche Lustbetätigung konsequent abgesprochen haben. Die Kindheit war als „asexuell“ definiert, als unschuldiger Engelszustand im Sinne der Kirche. Überhaupt hieß man um 1900 alle Arten der Lust, die nicht direkt und ausschließlich nur im Dienste der Fortpflanzung stehen - wie der „homoerotische“ Lustaustausch (irrtümlich: Homosexualität) - eine „perverse“ Entartung (- während Appetit auf ein Prallienchen, Strammen Max oder falschen Hasenbraten mit "Lust auf" zu kommentieren, als eine leicht unschickliche, bei Tisch strickt zu meidende Obzönität galt).

Die kindlichen polimorph-perversen Regungung äußern sich Freuds Ansicht zufolge nicht nur in der Befriedigung über die Geschlechtsorgane: Onanie bereits in der Wiege, 'Doktorspiele', sondern ganz allgemein in jeder Form des Lustgewinns durch Körperkontakt, Haut an Haut zu mehreren, allein an Gegenständen sich reiben, Saugen, Nuckeln mit und ohne Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Nasebohren usf. alle weiteren denkbaren der vielgestaltigen, damals so genannten 'Perversionen ' / ein Begriff also, der von Freud nie wörtlich verstanden wurde (lat. pervere: verdreht, unnatürlich, abartig. Griech.: poli: viel und morphéin: Gestalt), und dessen Verwendung heute in diesem Zusammenhange überholt ist.

Nicht zu dem vielgestaltigen gesunden Lustverhalten der Kinder gehört nach Freud die vollzogene Begattung und ihr orgasmischer Höhepunkt; beides setzt die hormonell/physische Entwicklung, welche erst während der Pubertät erreicht wird, voraus. Jedoch üben Kinder unter sich dieses Verhalten ungehemmt in ihren Spielen, sofern sie nicht den Einschränkungen durch die Lustfeindlichkeit der moralischen Erziehung unterworfen werden. Schon Ansätze davon führen Freuds Theorie zufolge zu einer Einschränkung der natürlichen Antriebe (s.a. Neurose) und dem respektiven Phänomen der beim sittlich erzogenen Menschen kaum beobachtbaren angeborenen Verhaltensmuster ('Instinkte'), allerdings akzeptieren andere Richtungen diesen Ansatz nicht und vertreten abweichende oder unvereinbare Hypothesen.

Der Soziologe Arnold Gehlen etwa sieht hinter dieser von Freud eher als Neurosis bezeichneten 'Instinktverarmung' keine psychopathologische Ursache, sondern nimmt im Gegenteil an, es handele sich um ein rein naturgesetzlich erklärbares Phänomen, das mit der evolutionären Menschwerdung einhergehe und einen entsprechenden Niederschlag im Erbgut des Homo Sapiens gefunden habe. Diese Hypothese wurde von ihm unter dem Stichwort "Instinktreduktion" publiziert - ein komplexes Thema, für dessen kritische Bewertung hilfreich ist, die 6 angeborenen Verhaltensmuster zu berücksichtigen, die die moderne Ethologie bei den höher evolutionierten Lebewesen hypothetisch vermutet. Sie bilden zugleich 6 mögliche Formen der "Lust", erweitern also hypothetisch das Freudsche "ES" und das Lustprinzip, nach dem sich seine angeborenen Bedürfnisse erfüllen. Näheres dazu - und den kulturhistorischen Hintergründen dieser seit der Aufklärung im Abendland geführten Debatte - siehe in der Diskussion zur Instinktverarmung

Formulierung des Prinzips

Die Herkunft aller Formen der Lust verortete Freud über die biologische Ebene in einer universalen, triebenergetischen Lebenskraft, die er die „Libido“ nannte. Auch hierbei wird noch heute oft von Kritikern und Befürwortern Freud übersehen, dass er sie nicht als ausschließlich auf die Sexualität beschränkt erachtet hat. Wissenschaftlich vergleichbar ist der Begriff „Libido“ dem der „Lebenkraft“ bzw. „elan vital“ im Sinn Henri Bergsons, der dies im Grunde mit Freuds identische Prinzip in die Evolutionstheorie Darwins einzuführen versucht hat, weil reines Wirken aus Zufall (unberechenbares Mutieren) und Notwendigkeit in der Auslese der umweltpassendsten Mutanten ihm zu mechanistisch schien. Ein später Versuch Freuds, der von einem Briefwechsel mit Einstein angeregt worden ist, stellt die Annahme dar, die Libido müsse sich in Form von Energiequanten materialisieren und als solche auch in den Lebewesen wirken, eine Hypothese, die zur Vereinigung von Physik und Psychologie gedacht war, der aber nach Freud keine größere Beachtung mehr geschenkt wurde. (Quelle)

An sich monistisch, äußere sich die selbst nicht empirisch messbare Energie ab dem Moment ihrer Verwirklichung oder Materialisation dualistisch, d.h. nimmt nach Freud psycho-physische, geist-körperliche oder zeit-räumliche Formen und Verhaltensweisen an, also zugleich den Aspekt der Statik und Dynamik. Beide sind erst wieder im „Es“ – Freuds Begriff der Seele (die nicht mit der religiösen Seelenauffassung verwechselt werden darf, sich aber wesensmäßig deckt mit dem Daimonion Sokrates) - harmonisch vereinigt. Vor allem ist dies der Fall in dem Moment, da das Gleichgewicht zwischen den sich mit Unlust meldenden Grundbedürfnissen und der (lustvollen) Befriedigung des ihnen innewohnenden Begehrens („Eros“) hergestellt worden ist. Ein unbefriedigtes Grundbedürfnis, erzeugt demnach wesensmäßig energetische Spannungen - entweder auf eher körperlicher oder auf eher geistiger Ebene, je nach dem welches Bedürfnis es war, das unbefriedigt blieb. In Frage kommen z. B. Einsamkeitsspannungen infolge sozialer Frustrationen, oder Unsicherheit infolge eines Sachverhaltes, der nicht (geistig) geklärt wurde. Beides verlangt auf seine je eigene Weise nach Befriedigung (Lustgewinn bis zur Stillung des Bedürfnis'). Es wird dabei nach dem Prinzip der Trieböknomie verfahren, d.h. die Energie investiert zunächst etwas von sich selbst, um die Erzeugung von Unlustgefühlen wie etwa „Hunger“ zu bewirken, erst deren innere Wahrnehmung den Organismus veranlassen - d.h. sein "Ich" - , nach den zu ihrer Stillung geeigneten Objekten zu suchen, wobei als Mehrwert der Investition Lust gewonnen wird. (Siehe hierzu auch die Ausführungen Lacans in Objekt klein a.) Die während dessen gemachten Erfahrungen speichert das "Über-Ich" ab und greift das "ES" auf diese Prägungen zurück, das Ich anhand entsprechend emotionalisierter Symbole anleitend, seine Aufgabe, dem ES bei der Stillung der Grundbedürfnisse zu dienen, umweltangemessen zu erfüllen, so stellt der Inhalt des Über-Ichs der Lebewesen von Natur aus nicht die lustfeindliche Moral dar wie oft angenommen wird.

Spannung und Entspannung - Wirken des Prinzips

Die Libido ist nach Freud die Quelle aller Unlust- und Lustgefühle. Dabei hat das ICH/Bewusstsein - wie Freud diese für alle innere und äußere Wahrnehmung zuständige, zu Freien Entscheidungen begabte Instanz der Psyche ernannte - die Aufgabe, nach Klarheit in sich oder nach einer äußeren Lebensquelle zu suchen. Menschen also, und Nahrung und z.B. auch wissenschaftlichen Versuchsobjekten, die geeignet sind, durch wechselseitig lustvollen Hautkontakt, Einverleibung (hinsichtlich der Nahrung) und experimentelle Manipulation mit Betrachtung der Ergebnisse bis zum Heureka-Effekt einer naturwissenschaftlich fundierten Erleuchtung die Spannungen abzubauen, welche in den vorherigen Frustrationen als Unlustgefühl bewusst geworden sind.

Verhältnis der Lust-/Unlustdynamik zur psychoanalytischen Theorie

War die geistige Unruhe einem geheimnisvollen, von erschreckenden und/oder lustvollen Symbolen handelnden Traum bezogen, so forderte Freud dazu auf, freien Assoziationenen über die Symbole des Traumes zu gewinnen. Dieses Assoziationen sind in seiner Lehre das zentrale Mittel zum Zweck der Bahnung des „Königsweges in das Unbewußte“, die Traumanalyse, anhand der Freud das Lustprinzip entdeckte und aus deren Befunden er den Hauptteil seiner Erkenntnisse zusammengetragen hat

Der Psychoanalyse gemäß ist auch ihre Theorie selber - wie alle Symbole der Träume und selbst unsere Sprache* - nur ein Ausdruck der Libido und ihres Lustprinzips auf dem Gebiet des Geistes, also nicht mit der Energie und ihrem zuerst von Epikur formulierten Prinzip des Strebens nach Lust und Meidens von Unlust identisch. (* Zur Vertiefung s. unter „Symbollehre“, Psychoanalyse.) Entsprechend erhebt, und kann die Theorie an sich keinen Anspruch auf absolute Wahrheit erheben, da dies ihre Erstarrung in einer bestimmten Form bedeuten würde, die Forschung überflüssig macht. Anstatt dessen stellt sie sich zwecks weiterer Verbesserung zur Diskussion. Gesundes Diskutieren verschafft Lust wie alle gesunden Bedürfnisse (die man von „Ersatzbedürfnissen“ unterscheiden muss). Es stellt einen Aspekt des „Forschens“ und seiner Experimentierfreude dar, die im Geist für sich betrachtet, ohne sonstige Absichten oder Bedürfnisse, nur der durch „Lust“ spürbar werdenden Befriedigung des Grundbedürfnisses „Wissensdrang“/ „Neugierde“ dient. Hierbei ist es wie bei der Nahrungsaufnahme: Mit dem Gewinn einer einleuchtenden Erkenntnis ist man satt. Nach einer Weile stellt sich das Bedürfnis nach Wiederholung des Lustgewinns durch Nahrungs- oder Informationsverarbeitung ein. Auch weitere Grundbedürfnisse: der Drang nach lustvollem Hautkontakt z.B., Sozialität und auch Sexualität, sind wie oben gesagt annehmbar.

Siehe auch