„Tschebyscheffsche Ungleichung“ – Versionsunterschied – Wikipedia


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{{Dieser ArtikelWeiterleitungshinweis|behandelt die statistische TschebyschowTschebyscheff-Ungleichung. |Zur arithmetischenUngleichung Tschebyschow-Ungleichungin der Arithmetik siehe [[Tschebyscheff-Ungleichung (Arithmetik)]].}}

Die '''Tschebyscheffschetschebyscheffsche Ungleichung''', auch '''Tschebyscheff-Ungleichung''' oder '''Bienaymé-Tschebyscheff-Ungleichung''' genannt,<ref>{{Literatur |Autor=Norbert Henze |Titel=Stochastik für Einsteiger |TitelErg=Eine Einführung in die faszinierende Welt des Zufalls |Auflage=10. |Verlag=Springer Spektrum |Ort=Wiesbaden |Datum=2013 |ISBN=978-3-658-03076-6 |Seiten=165 |DOI=10.1007/978-3-658-03077-3}}</ref> ist eine [[Ungleichung]] in der [[Stochastik]], einem Teilgebiet der Mathematik. Sie ist nach [[Irénée-Jules Bienaymé]] und [[Pafnuti Lwowitsch Tschebyschow|Pafnuti Lwowitsch Tschebyscheff]] benannt; dessen Name findet sich in der Literatur in verschiedenen Schreibungen, unter anderem ''Tschebyschew'', ''Chebyshev'', ''Čebyšev'' oder ''Tschebyschow''.<ref>{{Literatur |Autor=Hans-Otto Georgii |Titel=Stochastik |TitelErg=Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik |Auflage=4. |Verlag=Walter de Gruyter |Ort=Berlin |Datum=2009 |ISBN=978-3-11-021526-7 |Seiten=112 |DOI=10.1515/9783110215274}}</ref> In der tschebyscheffschen Ungleichung wird die Wahrscheinlichkeit, dass eine [[Zufallsvariable]] mehr als einen vorgegebenen Schwellenwert vomvon ihrem [[Erwartungswert]] abweicht, durch dieihre [[Varianz (Stochastik)|Varianz]] abgeschätzt.

== Aussage ==

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Dann gilt für alle reellen Zahlen <math>k > 0</math>:

:<math>\operatorname{P}\left[(\left|X-\mu\right|\geq k\right]) \leq \frac{\sigma^2}{k^2}</math>.

Durch Übergang zum [[Komplementäres Ereignis|komplementären Ereignis]] erhält man

:<math>\operatorname{P}\left[(\left|X-\mu\right| < k\right]) \geq 1 - \frac{\sigma^2}{k^2}</math>.

== Güte der Abschätzung ==

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Dies ist beispielsweise der Fall für eine diskrete Zufallsvariable <math>X</math> mit

:<math>\operatorname{P}\left[(X=0\right])=1-p</math>

und

:<math>\operatorname{P}\left[(X=-a\right])=\operatorname{P}\left[(X=a\right])=p/2</math>,

wobei <math>a </math> eine echt positive reelle Zahl ist und <math> p \in (0,1) </math>. Dann ist <math>\mu= \operatorname E(X)=0 </math> und <math>\sigma^2= \operatorname{Var}(X)=a^2p </math>, damit folgt die Abschätzung

:<math> P(|X-0|\geq k)\leq \frac{a^2 p}{k^2} </math>,

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Ist die [[Standardabweichung (Wahrscheinlichkeitstheorie)|Standardabweichung]] <math>\sigma</math> von Null verschieden und <math>\lambda</math> eine positive Zahl, so erhält man mit <math>k = \lambda \sigma</math> eine oft zitierte Variante der tschebyscheffschen Ungleichung:

:<math>\operatorname{P}\left[(\left|X-\mu\right|\geq \lambda \sigma\right]) \leq \frac{1}{\lambda^2}</math>.

Diese Ungleichung liefert nur für <math>\lambda > 1</math> eine sinnvolle Abschätzung, für <math>0<\lambda\leq 1</math> ist sie trivial, denn Wahrscheinlichkeiten sind stets durch 1 beschränkt.

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Die oben genannte Version der Ungleichung erhält man als Spezialfall, indem man <math>\nu = P</math>, <math>f=|X-\mu|</math> und <math>p=2</math> setzt, denn dann ist

:<math>P(|X-\mu| \ge k) = P(|X-\mu|^2 \ge k^2) \le \frac{1}{k^2}\int_\Omega |X-\mu|^2 \;{\rm d}P = \frac{\sigma^2}{k^2}</math>.

=== Mehrdimensionale Tschebyscheffsche Ungleichung ===

{{Hauptartikel|Mehrdimensionale Tschebyscheffsche Ungleichung}}

Die Tschebyscheffsche Ungleichung kann auf mehrdimensionale Zufallsvariable erweitert werden.

Ist X = (<math>x^1,...,x^n</math>) eine n-dimensionale Zufallsvariable, die auf den "Mittelpunkt" (μ(x<sup>1</sup>) / ... / μ(x<sup>n</sup>) ) zentriert wurde, so gilt für die zentrierte Variable die Mehrdimensionale Tschebyscheffsche Ungleichung:

:<math> 1 - P( (x^1,...x^n)C^{-1}\begin{pmatrix}x^1\\...\\x^n\end{pmatrix}\le k^2 ) \leq \tfrac{n}{k^2}</math>

=== Exponentielle Tschebyscheff-Ungleichung ===

Dass die Verallgemeinerung gleichzeitig für alle positiven Momente gilt, lässt sich beim Beweis der sogenannten ''exponentiellen Tschebyscheff-Ungleichung''<ref name="Große Abweichungen">{{Internetquelle |autor=Matthias Löwe |url=https://www.uni-muenster.de/Stochastik/loewe/grosseabweichungen.pdf |titel=Große Abweichungen |hrsg=Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Mathematische Stochastik |seiten=4 |abruf=2020-03-08 |abruf-verborgen=1 |format=PDF; 418 KB}}</ref> ausnutzen.

Sei <math>X \sim P</math> eine reelle Zufallsvariable, die gemäß <math>P</math> verteilt ist und <math>a \in \R</math> eine reelle Zahl.

In der Notation von oben setzt man nun <math>\nu = P</math>, <math>\varepsilon = \mathrm{e}^a</math> und <math>f(x) = \mathrm{e}^x</math> und erhält

:<math>P(X \ge a) = P(\mathrm{e}^X \ge \varepsilon) \le \inf_{p \in \R^+} \frac{1}{\varepsilon^{p}} \int_\R \mathrm{e}^{px} \, \mathrm{d}P = \inf_{p \in \R^+} \frac{E(\mathrm{e}^{pX})}{\mathrm{e}^{pa}}.</math>

Der Zähler <math>M_X(p) = E(\mathrm{e}^{pX})</math> ist die [[momenterzeugende Funktion]] von <math>X</math>.

Die Anwendung der exponentiellen Tschebyscheff-Ungleichung auf eine Summe von [[Unabhängig und identisch verteilte Zufallsvariablen|unabhängigen und identisch verteilten Zufallsvariablen]] ist der entscheidende Schritt im Beweis der [[Chernoff-Ungleichung]].

== Geschichte ==

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== Anwendungen ==

* Die tschebyscheffsche Ungleichung gehtwird wesentlichbeispielsweise einbeim in die Beweise des [[Borel-Cantelli-Lemma]]s undBeweis des [[Schwaches Gesetz der großen Zahlen|Schwachen Gesetzes der großen Zahlen]] verwendet.<ref name="HB_2">Heinz Bauer: ''Wahrscheinlichkeitstheorie.'' 2002, S. 69 ff</ref>

* Die Verallgemeinerung auf höhere Momente kann benutzt werden, um zu zeigen, dass aus der <math>L^p\;</math>-Konvergenz von [[Funktionenfolge]]n die [[Konvergenz im Maß]] folgt.

* Für den [[Median (Stochastik)|Median]] <math>m</math> gilt <math>\left|\mu-m\right| \leq \sigma</math>.

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== Beispiele ==

=== Beispiel 1 ===

Nehmen wir zum Beispiel an, dass die Länge von Wikipedia-ArtikelArtikeln einen Erwartungswert der Länge von 1000 Zeichen mit einer [[Standardabweichung (Wahrscheinlichkeitstheorie)|Standardabweichung]] von 200 Zeichen habenhat. Aus der ''tschebyscheffschen Ungleichung'' kann man dann ableiten, dass mit mindestens 75 % Wahrscheinlichkeit ein Wikipedia-Artikel eine Länge zwischen 600 und 1400 Zeichen hat (<math>k=400, ~ \mu=1000, ~ \sigma=200</math>).

Der Wert für die Wahrscheinlichkeit wird auf folgende Weise berechnet:

:<math>\operatorname{P}\left[(\left|X-1000\right| < 400\right]) \geq 1 - \frac{200^2}{400^2} = 0{,}75 = 75\ \%</math>

=== Beispiel 2 ===

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=== Beispiel 3 ===

Ein Zufallsereignis tritt bei einem Versuch mit Wahrscheinlichkeit <math>p</math> ein. Der Versuch wird <math>n</math>-mal wiederholt; das Ereignis trete dabei <math>k</math>-mal auf. <math>k</math> ist dann [[Binomialverteilung|binomialverteilt]] und hat Erwartungswert <math>np</math> und Varianz <math>np(1-p)</math>; die relative Häufigkeit <math>\tfrac{k}{n}</math> des Eintretens hat somit Erwartungswert <math>p</math> und Varianz <math>\tfrac{p(1-p)}{n}</math>. Für die Abweichung der relativen Häufigkeit vom Erwartungswert liefert die tschebyscheffsche Ungleichung

:<math>\operatorname{P}\left[(\left|\frac{k}{n}-p \right|\geq \epsilon \right]) \leq \frac{p(1-p)}{\epsilon^2n} \leq \frac{1}{4\epsilon^2n} </math>,

wobei für die zweite Abschätzung die unmittelbar aus der [[Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel]] folgende Beziehung <math>\sqrt{p(1-p)}\leq \tfrac{1}{2}</math> verwendet wurde.

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== Beweisskizze ==

Die meisten Autoren führen die tschebyscheffsche Ungleichung als Spezialfall der [[Markow-Ungleichung (Stochastik)|Markow-Ungleichung]]

:<math>

:<math>P \left[( Y \geq k \right]) \leq \frac{\operatorname{E}\left[(h(Y)\right])}{h(k)}.</math>

</math>

mit <math> Y= |X-\mu| </math> und der Funktion <math> h(x)=x^2 </math> ein.<ref>{{Literatur |Autor=[[Achim Klenke]] |Titel=Wahrscheinlichkeitstheorie |Auflage=3. |Verlag=Springer-Verlag |Ort=Berlin Heidelberg |Datum=2013 |ISBN=978-3-642-36017-6 |Seiten=110 |DOI=10.1007/978-3-642-36018-3}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Hans-Otto Georgii |Titel=Stochastik |TitelErg=Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik |Auflage=4. |Verlag=Walter de Gruyter |Ort=Berlin |Datum=2009 |ISBN=978-3-11-021526-7 |Seiten=122 |DOI=10.1515/9783110215274}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Klaus D. Schmidt |Titel=Maß und Wahrscheinlichkeit |Auflage=2., durchgesehene |Verlag=Springer-Verlag |Ort=Heidelberg Dordrecht London New York |Datum=2011 |ISBN=978-3-642-21025-9 |Seiten=288 |DOI=10.1007/978-3-642-21026-6}}</ref>

Wie man die Markow-Ungleichung mit schulgemäßen Mitteln aus einem unmittelbar einsichtigen Flächenvergleich folgern und dann daraus diese Fassung der Ungleichung von Tschebyscheff herleiten kann, findet man zum Beispiel bei Wirths.<ref>H. Wirths: Der Erwartungswert – Skizzen zur Begriffsentwicklung von Klasse 8 bis 13. In: Mathematik in der Schule 1995/Heft 6, S. 330–343</ref> Für einen direkten Beweis definiert man

:<math> A_k= \{ \omega \in \Omega \mid |X - \mu| \geq k \} </math>.

Für einen direkten Beweis definiert man

:<math>

:<math> A_k= \{ \omega \in \Omega \mid |X - \mu| \geq k \} </math>.

</math>

Bezeichnet <math> \mathbf 1_A </math> die [[Indikatorfunktion]] auf der Menge <math> A </math>, so gilt für alle <math> \omega </math> die Ungleichung

:<math>
|X(\omega)-\mu|^2 \geq k^2 \mathbf 1_{A_k}(\omega) .
</math>.

Denn ist <math> \omega \notin A_k </math>, so ist die rechte Seite null und die Ungleichung erfüllt. Ist <math> \omega \in A_k </math>, so hat die linke Seite nach Definition der Mengen <math> A_k </math> mindestens den Wert <math> k^2 </math>, und die Ungleichung ist wiederum erfüllt. Mit der Monotonie des Erwartungswertes und seinen elementaren Rechenregeln folgt über die Definition der Varianz

:<math>

:<math> \sigma^2 = \operatorname{Var}(X)= \operatorname E (|X-\mu|^2) \geq \operatorname E (k^2 \mathbf 1_{A_k})= k^2 P(A_k)= k^2P(|X - \mu| \geq k) </math>.

\sigma^2 = \operatorname{Var}(X)= \operatorname E (|X-\mu|^2)

:<math> \sigma^2 = \operatorname{Var}(X)= \operatorname E (|X-\mu|^2) \geq \operatorname E (k^2 \mathbf 1_{A_k})= k^2 P(A_k)= k^2P(|X - \mu| \geq k) </math>.

</math>

Teilen durch <math> k^2 </math> liefert die Tschebyscheff-Ungleichung.<ref>{{Literatur |Autor=Ehrhard Behrends |Titel=Elementare Stochastik |TitelErg=Ein Lernbuch – von Studierenden mitentwickelt |Verlag=Springer Spektrum |Ort=Wiesbaden |Datum=2013 |ISBN=978-3-8348-1939-0 |Seiten=229-230 |DOI=10.1007/978-3-8348-2331-1}}</ref>

Diese ergibt sich aber auch ohne Erwartungswert-Regeln aus einem einfachen Flächenvergleich, ausgehend von der allgemeingültigen Darstellung [[Erwartungswert#(3)|(3)]] auf der Seite [[Erwartungswert]].<ref>Roland Uhl: ''Charakterisierung des Erwartungswertes am Graphen der Verteilungsfunktion''. Technische Hochschule Brandenburg, 2023, {{DOI|10.25933/opus4-2986}} ([https://opus4.kobv.de/opus4-fhbrb/files/2986/Uhl2023.pdf PDF]). S.&nbsp;5.</ref>

Teilen durch <math> k^2 </math> liefert die Ungleichung.<ref>{{Literatur |Autor=Ehrhard Behrends |Titel=Elementare Stochastik |TitelErg=Ein Lernbuch – von Studierenden mitentwickelt |Verlag=Springer Spektrum |Ort=Wiesbaden |Datum=2013 |ISBN=978-3-8348-1939-0 |Seiten=229-230 |DOI=10.1007/978-3-8348-2331-1}}</ref>

== Verwandte Resultate ==

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* [[Markow-Ungleichung (Stochastik)]]

* [[Ungleichung von Ottaviani-Skorokhod]]

* [[Mehrdimensionale Tschebyscheffsche Ungleichung]]

* [[Hoeffding-Ungleichung]]

== Literatur ==

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|Datum=1988

|ISBN=3-326-00195-9}}

* [[Andreas Wagener (Ökonom, 1967)|Andreas Wagener]]: ''Chebyshev’s Algebraic inequality and comparative statics under uncertainty''. In: ''Mathematical socialSocial sciencesSciences'', 52, 2006, S. 217–221, {{DOI|10.1016/j.mathsocsci.2006.05.004}}.

* P. L. Tschebyschow: ''On Mean Values'', in: Journal de Mathématiques Pures et Appliquées 2(12), 1867, S. 177–184.

* [[Andreas Wagener]]: ''Chebyshev’s Algebraic inequality and comparative statics under uncertainty''. In: ''Mathematical social sciences'', 52, 2006, S. 217–221.

== Weblinks ==

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<references />

[[Kategorie:ZufallsvariableStochastik]]

[[Kategorie:Wahrscheinlichkeitsrechnung]]

[[Kategorie:Ungleichung (Stochastik)]]